Religion irritiert. Die Begegnung mit dem Unsagbaren, dem Heiligen und Transzendenten entrückt Menschen aus vermeintlichen Sicherheiten. Dabei finden viele Menschen in religiösen Vorstellungen, Riten und Geboten Orientierung für ihr Leben und betonen die Bedeutung ethischer Werte für die Gemeinwesen. Andere sehen vor allem die Gefahr der Reglementierung und Indoktrination und fordern, dass Religion auf den privaten Bereich beschränkt bleibt. Beiden Positionen steht das Phänomen einer Religion gegenüber, die sich allen funktionalen Zuweisungen querstellt.

In seiner neuen Filmreihe stellt der Ökumenische Arbeitskreis Kirche & Kino Bremen Filme vor, die auf verschiedene Weise das Verrückte, Sperrige und Unverständliche der Religion in den Blick nehmen – und zugleich danach fragen, was dran ist an diesem ganz Anderen.

Alle Filme laufen im Kommunalkino City 46, Birkenstraße 1 (Herdentor).


18. September 2018, 19:30

JESUS, DU WEISS

(Österreich 2003, Regie: Ulrich Seidl)

Ein Film als Beichtstuhl. Menschen gehen in die Kirche, Menschen sitzen alleine in der Kirchenbank, Menschen beten zu Jesus, der ihnen alles ist: Vater und Freund, Heiland und Retter, Wegweiser und Klagemauer, Redender, Schweigender, Liebender. Da ist etwa ein Student, der gegen den Willen seiner Eltern täglich die Messe besucht, seine ganze Freizeit in der Pfarre verbringt und der Jesus einfach alles erzählt und alles bereut: erotische Phantasien wie Heldenträume. Oder die pensionierte Chemielehrerin, die von ihrem Lebensgefährten mit einer anderen Frau betrogen wird. Sie sinnt im Gebet nach Rache. Aber ist Rache nicht Sünde? Formal streng zeigt Ulrich Seidl sechs fragmentarische Porträts von Gläubigen, die Fragen stellen, Antworten suchen und Jesus ihre Sorgen ausschütten. Jede dieser Geschichten öffnet dabei einen Raum, eine Intimität, eine Aussicht auf das, was man Gott nennen könnte.

„Der durch die Inbrunst seiner Protagonisten ebenso erschreckende wie mitunter auch erheiternde Dokumentarfilm nähert sich dem Katholizismus von einer Seite, die nicht frei von Bigotterie ist. Der Regisseur nutzt Blickwinkel und -perspektiven, um die Haltung der Kirchgänger sowie ihre Lebens- und Glaubenseinstellungen erfahrbar zu machen. Dabei dringt er in einen Grenzbereich vor, der Staunen und Fragen auslöst, ohne mit vorgefertigten Antworten aufzuwarten.“ (film-dienst 17/2005)

Einführung: Hans-Peter Ostermair


23. Oktober 2018, 19:30

DIE JUNGFRAU, DIE KOPTEN UND ICH

(Frankreich/Katar/Ägypten 2012, Regie: Namir Abdel Messeeh)

Namirs Mutter ist eine koptische Christin. Sie ist überzeugt, dass sie auf einem Video aus ihrer ägyptischen Heimat eine Erscheinung der Jungfrau Maria gesehen hat. Ihr Sohn, der säkular in Frankreich aufgewachsen ist, will über das Phänomen einen Film drehen und reist zu seinen ägyptischen Verwandten. Er will den Zusammenhang zwischen der ägyptischen Zeitgeschichte und den Marienerscheinungen der koptischen Minderheit aufzeigen. Doch es gibt diverse Hindernisse: seine Eltern, die sich in den Film einmischen und seine Ideen kritisieren, sein französischer Produzent, der alle paar Wochen Änderungen vorschlägt, und nicht zuletzt das koptische Heimatdorf selbst. In schierer Verzweiflung beschließt Namir, seine eigene Marienerscheinung für den Film zu inszenieren. Aber dazu braucht er die Hilfe der Dorfbewohner und seiner Mutter, die, eigens angereist, am Set ungeahnte Fähigkeiten offenbart.

„Eine dokumentarische Familien- und Culture-Clash-Kömodie über Religion in der Diaspora, die Kunst des Filmemachens und die Kreativität der Mitwirkenden. Mit seiner Mutter als wunderbarer Hauptdarstellerin entlarvt der Regisseur in seinem Langfilmdebüt die filmischen Manipulationen des Dokumentarfilms mit Humor und Charme.“ (Berlinale) 

Einführung: Heinz-Martin Krauß


20. November 2018, 19:30

LAND OF PLENTY

(Deutschland/USA 2004, Regie: Wim Wenders)

Paul, ehemals Soldat der „US Special Forces“, leidet heute noch unter den Nachwirkungen des Giftes Dioxin (Agent Orange), dem er vor mehr als 30 Jahren ausgesetzt war. Die Ereignisse des 11. September 2001 haben sein Kriegstrauma und damit die Geister seiner Vergangenheit erneut zum Leben erweckt. Er ist von der Idee besessen, sein Land gegen mögliche Inlandsangriffe zu beschützen und engagiert sich im „Krieg gegen den Terror“ als selbsternannter Vaterlandsverteidiger. Seine Nichte Lana ist eine Idealistin, auf der Suche nach ihrer Aufgabe in dieser Welt. Dabei erkennt und versteht sie ihren christlichen Glauben mehr und mehr in frappierendem Gegensatz zu den Prinzipien der amtierenden amerikanischen Regierung und der sie unterstützenden konservativen christlichen Gemeinden.

Einführung: Karl-Heinz Schmid


11. Dezember 2018, 19:30

IM HAUS MEINES VATERS SIND VIELE WOHNUNGEN

(Deutschland 2010, Regie: Hajo Schomerus)

In der Grabeskirche in Jerusalem leben sechs christliche Konfessionen Tür an Tür unter einem Dach. Die einzelnen Glaubensgemeinschaften wachen verbissen über die ihnen zugeteilten Anteile und beobachten eifersüchtig die anderen. Die abessinischen Christen, die ihren Platz in der eigentlichen Kirche verloren haben, quartierten sich kurzerhand auf dem Dach der Kapelle ein, die koptischen Christen, die den Haupteingang des Grabes nicht benutzen dürfen, bauten sich eine kleine Kapelle an der Rückseite der Grabkammer, und die Griechisch-Orthodoxen verteidigen raubeinig den Vordereingang. Zu hohen Festtagen kommt es manchmal zu absurden Schlachten religiöser Leidenschaft, die Prozessionen geraten sich gegenseitig in die Quere, und Gläubige aus aller Welt verkeilen sich untereinander. Aber nachts, wenn die unfreiwillige Wohngemeinschaft in der Kirche eingeschlossen ist, beten die Mönche vor dem Grab. Dann verwandelt sich die Kirche in einen mystischen Ort der Hingabe und Sehnsucht nach erfülltem Glauben.

Mit Respekt und Neugier verfolgt der Film von Hajo Schomerus das Leben der Bewohner und zeigt unterhaltsam und freudvoll, dass Glauben eine zutiefst menschliche Angelegenheit mit allen Höhen und Tiefen ist.

Einführung: Louis-Ferdinand von Zobeltitz